Sonntag, 11. Oktober 2015

Ein Schnappschuss im Dunkeln

Der letzte Post ist schon wieder eine Weile her und das aktuelle Projekt noch weit von der Veröffentlichung entfernt. 
Aber aus der letzten Serie sind noch ein paar Fotos und Geschichten übrig :-)
Eines davon zeigt eine Frau, die an einer Hausecke fotografiert wurde. Und je genauer man hinschaut, desto mehr Hinweise tauchen auf...



Ich möchte ja gerne wissen; wer wurde da wann und wo fotografiert?
Die Frage nach dem Wer lässt sich in den wenigsten Fällen beantworten. Meist finden sich auf den Pergaminhüllen der Glasplatten -sofern überhaupt vorhanden- keine Namen. Eher noch eine Jahreszahl und oder ein Hinweis auf den Ort. Die meinsten Bilder aus der aktuellen Serie enthalten praktisch gar keine Hinweise, so auch dieses. Einfach ein Stapel Fotoplatten mit verschiedenen Motive ohne sichtbaren Zusammenhang. Also müsen die Bilddetails weiterhelfen.


Eine Strassenbahnhaltestelle der Linie 2  - nächste Haltestellen -> Augusten Str. und Hauptbahnhof.
Es gibt eine Augusten Strasse in München und es gab auch mal eine Straßenbahn der Line 2. Auf der Homepage trambahn.com von Peter Brenner gibt es auch eine Sub-Site für die Linie 2. Demnach wurde die Augusten Strasse bis in die 1970er angefahren.
In der Wikipedia findet sich auch der dazu passende Netzplan aus dem Jahr 1964...

StrassenbahnnetzMuenchen1964.jpg

Damit wäre das wo so halbwegs geklärt. Ein weiterer Hinweis findet sich im dunklen Teil des Bildes.


Detail der Aufnahme - Frau an Hausecke - Foto mit Blitz in München ca. 1920-1940


Hier sieht man auf der Schaufensterscheibe die Aufschrift Buchhandlung Tyrolia. Es gibt heute noch einen gleichnamigen österreichischen Verlag, der ab dem 1. Juli 1917 eine Auslieferungsstelle in der Schellingstrasse 41 hatte.
(An dieser Stelle auch ein herzliches Dankeschön an Silvia B. von der Verlagsanstalt TYROLIA für den freundlichen Mailkontakt :-)

Bildunterschrift im PDF zur Unternehmensgeschichte: 1917 errichtete Tyrolia eine Auslieferung für ihre Bücher und Zeitschriften im Haus der Buchdruckerei und Verlagsanstalt M. Müller & Sohn in der Münchner Schellingstraße.


Am Foto und der entsprechenden Fensterfront lässt sich auch ablesen, dass mein Bild erst später entstanden sein dürfte. Aber wohl vor 1940, da sich auf der Firmenhomepage auch nachvollziehen lässt, dass auch der Verlag Tyrolia und seine Niederlassung in München dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen ist.

Auch das Haus in der Schellingstrasse -bzw. der ganze Block- hat den zweiten Weltkrieg nicht überstanden.

 
Soviel zum Wo und Wann. Bleibt ein zweiter Blick auf das Bild und die Frage:


Frau an Hausecke - Foto mit Blitz in München ca. 1920-1940

Was mag der Herr im Hintergrund wohl im Strassenbahn-Haltestellten-Mülleimer gesucht haben?

Ich glaube nicht, dass der Fotograf seinerzeit den Mann absichtlich ins Bild platziert hat... 
Andererseits könnte man heute mit einem solchen Bild ja durchaus auf die Armutsproblematik in unserer Gesellschaft hinweisen. Warum also nicht auch schon vor 80 oder 90 Jahren?
 
Wie auch immer, ich denke an diesem Bild lässt sich ganz gut erkennen welche Informationen in einem einzelnen Bild enthalten sein können und wie schwierig es sein kann diese wieder aus dem Bild herauszubekommen.


In diesem Sinne eine schöne Zeit und im kommenden Post geht es wohl mal in den Dom zu Freising.


Viele Grüße
Peter